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WORKATION – Erholung oder Zerreißprobe?

Bei diesem Wort geht bei mir das Kopfkino los …

Szenarium eins: Ich liege an einem traumhaften weißen Sandstrand. Ein leichtes Lüftchen weht und es duftet nach Meer. Mein Blick schweift in die Ferne, streift das türkis-blaue klare Wasser und ich höre die Wellen rauschen. Ich schlürfe meinen frisch gepressten Mangosaft, schnappe mir meinen Rechner und die Ideen sprudeln nur so.


Hört und fühlt sich gut an, doch da drängelt sich schon Szenarium zwei ganz frech nach vorne: Ich liege an diesem schönen Sandstrand. Soweit so gut. Mein Rechner steht vor mir und blinkt aufmunternd. Um mich herum liegt Sandspielzeug in rauen Mengen. Meine Tochter nähert sich gerade gefährlich den Wellen, während mein Sohn quer über den Strand brüllt: „Ich will Fußball spielen!“ Mein frischer Saft schwappt mir über, ich drücke die falsche Taste und mein erster Entwurf landet im Nirwana. Herrlich!



Workation ist in aller Munde, aber nicht für alle praktikabel. Und ja, diese zwei Szenarien haben viel mit meiner persönlichen Situation und meiner Einstellung gegenüber diesem doch noch neuen Arbeitsmodell zu tun. Deswegen nähern wir uns dem Begriff erst mal ganz wertfrei an.


Eine Wortkreation mit Deutungsspielraum


Workation, was ist das eigentlich für ein Wort?

Es ist ein Kofferwort, d. h. es verschmelzen zwei Wörter zu einem und ergeben ein neues mit eigener Bedeutung. Hier wird aus Work (Arbeit) und Vacation (Urlaub): Workation. Diese Wortschöpfung beschreibt ein relativ neues Arbeitsmodell, dass vor allem im Zuge der Digitalisierung und auch der Pandemie an Aufmerksamkeit und Zuspruch gewonnen hat. Es geht um Arbeiten im Urlaub oder Urlaub mit Arbeit oder einfach Arbeitsurlaub.


Der Begriff wird individuell unterschiedlich ausgelegt: Manche bezeichnen es schon als Workation, wenn man einfach seinen Rechner mit in den Urlaub nimmt. Andere wiederum buchen für ihre Teams Wandertage und bezeichnen dies als Workation. Oder es gibt auch Gruppen, die sich als Gleichgesinnte zusammenschließen und durch die Welt reisen, während sie parallel an Projekten arbeiten. Doch was ist es nun?


Meiner Meinung nach beinhaltet Workation das Wort Urlaub, d. h. ich wähle Ort und Zeit dafür selbst aus – und natürlich mit wem oder ohne wen ich mich auf die Reise mache. Bestimmt das Unternehmen Ort, Zeit und Menschen, dann ist das eine Dienstreise – egal, wie hübsch verpackt sie ist. Und wenn ich meinen Rechner mitnehme und ab und zu mal eine Mail checke, während ich sonst die Sonne genieße, dann wäre ich mit der Bezeichnung Workation auch vorsichtig. Es bedarf klaren Regelungen: Denn wie das mit dem Arbeitsentgelt und der Versicherung in dieser Zeit gehandhabt wird und ob die Workation-Zeit auf die Urlaubstage angerechnet wird – all das gilt es vorher abzuklären, wenn ich als Arbeitnehmer:in das Modell in Anspruch nehme. Bin ich freischaffend, sollte ich aber auch für mich klären, was ich alles vorher regeln muss, um im Urlaub effektiv arbeiten zu können.


Workation ist also nicht eindeutig definiert und wirft spannende Fragen auf:

Wann macht dieses Modell Sinn? Was für Bedingungen sind für eine erfolgreiche Workation wichtig? Und wie schaffe ich es trotz Work auch Vacation zu haben oder andersrum?

Und für wen ist es wirklich was?


Die Antworten zu diesen Fragen zeigen, wo Vorteile liegen können und wann diese Arbeitsform an seine Grenzen kommt.


Zielgruppen für Workation


Umsetzbar ist dieses Modell für alle, die nicht mehr als ein Notebook und schnelles Internet zum Arbeiten brauchen. Freelancer:innen, digitale Nomaden und Soloselbstständige können es für sich wählen – ob Grafiker:in, Entwickler:in, Texter:in, Berater:in u. v. m. Bei Arbeitnehmer:innen muss das Unternehmen dieses Modell anbieten und unterstützen. Durch die Pandemie haben flexibles, mobiles und ortsunabhängiges Arbeiten ordentlich Aufwind bekommen und sind für deutlich mehr Menschen zugänglich. Diese neugewonnen Freiheit wollen viele nicht mehr aufgeben und kommende Generationen nehmen das Angebot dieser Modelle durchaus als Kriterium für die Wahl des zukünftigen Arbeitgebers. Es ist also ein Plus, wenn Unternehmen flexiblen Arbeitsmodellen gegenüber offen sind.

Deutlich wird dadurch, wo Workation nicht umsetzbar ist. Für Berufe, die ortsgebunden sind, regelmäßige Kundenkontakte voraussetzen, viele Vororttermine verlangen, schweres Equipment oder Maschinen benötigen, soziale und pflegende Berufe u. v. m. Unsere Postbotin oder der Erzieher können wohl schlecht in Workation fahren. Für mich scheinen auch eigene Kinder und vor allem welche im Schulalter schwierig mit der Planung dieses Modells vereinbar.

Wichtig sind vor allem klare Bedingungen und der eigene Wille Arbeit und Urlaub miteinander zu verbinden – nur dann kann es überhaupt funktionieren.


Was es braucht


Neben dem Willen braucht Workation folgende Voraussetzungen:

Passende Ziele: Nicht jede Destination ist fürs Arbeiten ausgelegt.

Technische Infrastruktur: Schnelles Internet und Strom sind Mindestanforderungen.

Zeitliche Planung: Im Unternehmen muss klar kommuniziert werden, wie lange eine Workation dauert. Ist man von keinem Unternehmen abhängig, kann man natürlich auch nur Oneway buchen und gucken, wo es einen hintreibt – vorausgesetzt alles ist vorher geplant und zu Hause wartet nichts und niemand.

Gute Absprachen: Das gilt immer. Mit dem Team, mit Kund:innen, Geschäftspartner:innen, Freunden etc. Wie bei Urlaub oder Auszeit sollte auch eine Workation gut abgesprochen sein, denn es kann immer auch zu unplanmäßigen Störungen kommen.

Selbstdisziplin: Arbeiten, wo andere Urlaub machen? Kann auch belastend sein, die ganze Zeit das Meer vor Augen und selbst am Rechner. Hier hilft es sich feste Zeiten zu setzen und dann die direkte Nähe des Erholungsortes zu nutzen. In der Mittagspause mal ins kühle Nass, warum nicht.

Klare Kommunikation: Manchmal läuft es nicht wie gedacht, vielleicht wird nicht so viel geschafft wie geplant oder es wird durchgeackert und der Urlaubsort bleibt das Hotelbett. In beiden Fällen sollte das besprochen und transparent kommuniziert werden.


Vor- und Nachteile von Workation


Wenn ein Unternehmen Berufsgruppen hat, die ortsungebunden arbeiten können, dann ist es auf jeden Fall einen Versuch Wert auch dieses Modell auszuprobieren. Kommt auf jeden Fall gut an, da es Vertrauen in und Flexibilität für die Mitarbeitenden vermittelt.

Fachkräfte erhalten einen Motivationsschub, lernen Neues kennen, verbinden Arbeit und Entspannen, sind womöglich kreativer. Die Bindung ans Unternehmen wächst. Auf der anderen Seite können hier zusätzliche Kosten für Auslandsversicherungen hinzukommen oder mit der Technik läuft es nicht reibungslos. Wie auch beim Homeoffice oder dem flexiblen Arbeiten müssen die Voraussetzungen passen. (s. Was es braucht)


Das gilt natürlich auch, wenn kein Unternehmen mitbestimmt und es um die Selbstorganisation geht. Die Vor- und Nachteile ähneln sich nur, dass man sich selbst der zusätzlichen Kosten bewusst sein sollte, wenn es mit dem Arbeiten auf Workation nicht gut läuft.


Die Einstellung muss passen


Für mich wird bei diesem Abwägen eins immer klarer. Es braucht eine bestimmte Einstellung des Workation-Praktizierenden, sonst geht das in die Hose. Wer Privates und Berufliches immer klar trennt, der kann mit diesem Modell nichts anfangen. Wer aber gerne auf die Übergabe vor und die E-Mail-Berge am ersten Arbeitstag nach dem Urlaub verzichtet und einfach gleich im Urlaub weiterarbeitet – für den ist das perfekt.


Sicher, Arbeitszeit ist Lebenszeit und auch bei mir verschwimmen diese beiden Bereiche ab und an, weil ich gerne arbeite. Aber genau deswegen will ich im Urlaub den Kopf frei haben und abschalten. Ich möchte nicht in meinem zweiten Szenarium landen und mich in dieser kostbaren Zeit zwischen Arbeit und Familie zerreißen – das ist alles andere als erholsam.


Bei meiner Recherche habe ich gelesen, dass immer mehr Hotels aufrüsten und Kinderbetreuung für die arbeitenden Eltern anbieten – vielleicht wird das so was, aber überzeugt bin ich nicht. Bis dahin bleiben für dieses neue Kofferwort meine Koffer ungepackt.


Allerdings finde ich arbeiten an schönen Orten absolut empfehlenswert. Ich sitze schließlich auch mal im Garten, im Kreativraum oder auf dem Golfplatz: Nur das ist für mich mobiles Arbeiten und nicht Workation – und dieses Arbeitsmodell hat mich schon längst überzeugt.

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